Jede Woche erscheint der Newsletter der Frankfurter GRÜNEN – die GRÜNE WOCHE. Für das Editorial wechseln sich meine Vorstandssprecherkollegin Beatrix Baumann und ich ab. „Meine“ Editorials dokumentiere ich auch hier auf meiner Webseite.
Hier das Editorial für die Ausgabe 30/2020, erschienen am 11. September 2020. Schwerpunkt diesmal: Die Lage in Moria – eine Schande für Europa.
Liebe Freund*innen,
„Moria brennt!“ Dies ist der vorläufige Höhepunkt einer Schande für Europa. Der „EU Hotspot“ auf der griechischen Insel Lesbos, konzipiert für 2.800 Geflüchtete als „Aufnahme“- nie als Dauereinrichtung, zuletzt aber bewohnt von bis zu 20.000 Menschen (Anfang 2020), die teils seit Jahren dort Leben, ist am Beginn dieser Woche fast vollständig abgebrannt.
Für viele Menschen ist jetzt erst klar geworden, was alle schon längst hätten wissen können und was wir mit vielen anderen immer wieder gesagt haben: Die Lage an den Europäischen Außengrenzen ist unerträglich. Nach wie vor ertrinken Menschen im Mittelmeer und im Atlantik, sterben Menschen auf dem Weg zum Mittelmeer, werden Menschen gewaltsam „zurückgeschoben“ und leben Menschen zwischen allen Welten, in Lagern und außerhalb. Nach wie vor lässt Europa die Staaten an den Rändern allein mit der Lösung dieser Situation – und überfordert sie damit. Nach wie vor kooperiert Europa mit Staaten und zerfallenen Staaten im nördlichen Afrika bei der Abschreckung von Menschen. Nach wie vor spricht Europa gerne über die Schaffung von Perspektiven in den Herkunftsländern, schlägt aber mit der einen Hand die Strukturen kaputt, die es mit der anderen Hand vorgeblich aufbaut.
Wie gesagt: Es ist eine Schande.
Nun kommt noch dazu: Europa versagt akute Nothilfe für Menschen auch auf europäischem Boden (den Geflüchteten und auch den in den Grenzgebieten wohnenden Menschen). Schon wegen der Corona-Gefahr war das vollkommen unverantwortlich. In einem 7-fach überfüllten Lager findet natürlich das Gegenteil von dem statt, was wir gerade machen: Räume nur zum Bruchteil ihrer „normalen“ Kapazität zu füllen. Die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat versprochen, die Europäische Asylpolitik neu zu ordnen und die Situation zu verbessern. Am 1. Dezember wird sie ein Jahr im Amt sein. Ansätze zur Umsetzung dieses Versprechens sind nicht zu sehen. Es ist politisch schwierig, das sei zugestanden – die europäischen Staaten sind alles andere als kooperativ. Aber es ist bitter nötig.
Derweil bewegt sich seit geraumer Zeit etwas von unten. Viele Kommunen – nicht nur in Deutschland – bieten Hilfe an. Viele Kommunen sagen: Wir können und wollen zur Lösung beitragen. Wir haben Platz, wir können helfen. Allein: Sie bekommen nicht die Gelegenheit. Die Bundesregierung verweist auf eine (welche?) europäische Lösung. Zeit vergeht. Der Bundesinnenminister bleibt hart.
Nun wird auch den letzten Menschen klar, was dieses „hart bleiben“ faktisch bedeutet. Nun sitzen auf Lesbos 12.000 Geflüchtete ohne auch nur ein Zeltdach über dem Kopf – abgesehen von den nach wie vor leidenden und sterbenden Menschen auf dem Weg.
Wir benehmen uns, wenn wir jetzt nicht helfen, wie eine Feuerwehr die nicht erst mal die Menschenleben rettet und das Feuer löscht, sondern die erst mal die Ermittlungen zur Brandursache abwartet und parallel schaut ob vielleicht die Kolleg*innen aus einer anderen Stadt Lust und Zeit haben, den Brand zu bekämpfen. Unvorstellbar in Deutschland, zu Recht.
Vielleicht bewegt diese Wahrnehmung endlich etwas. Und dabei ist ja nicht entscheidend, wie die Menschen agieren, die ohnehin schon immer für eine Lösung offen waren. Sondern entscheidend ist, ob der Widerstand bröckelt. Teilweise tut er das vielleicht. Norbert Röttgen (ok, eher ein Underdog im Rennen um den CDU-Vorsitz) fordert die Aufnahme von 5.000 Menschen. Gerd Müller (CSU) ist „der Meinung, dass wir (die Bundesregierung) die Angebote der deutschen Länder annehmen sollten“ und wäre mit der Aufnahme von 2.000 Menschen einverstanden. Armin Laschet (auch im Rennen um den CDU-Vorsitz) hatte zwischenzeitlich die Aufnahme von 1.000 Menschen in NRW angeboten – das Angebot aber wieder zurückgezogen (Quelle zum Beispiel hier). Allerdings: Die Kanzlerin und der französische Präsident Macron bieten 400 (!!!) minderjährigen Geflüchteten die Aufnahme an, in der Hoffnung, dass „auch einige andere Mitgliedsstaaten“ mitmachen. Da fehlen mir offen gestanden die Worte.
Am Mittwoch waren spontan viele Menschen mit vielen Stühlen auf dem Römerberg, um klarzumachen: #WirHabenPlatz. Danke an die Seebrücke für diese Aktion. #WirHabenPlatz: Was Frankreich und Deutschland aktuell zusammen anbieten, könnte Frankfurt ganz allein leisten. Marburg ist übrigens seit Langem bereit, allein 250 Menschen aufzunehmen.
Bleibt engagiert, für Menschen und für Menschlichkeit – und unterzeichnet zum Beispiel auch den Eil-Appell auf https://www.gruene.de und/oder die Petition auf change.org. Ärzte ohne Grenzen und viele andere Organisationen helfen übrigens vor Ort und freuen sich über Spenden.
Danke,
Beatrix Baumann, Vorstandssprecherin + Bastian Bergerhoff, Vorstandssprecher Grüne Frankfurt
PS: Eigentlich wäre heute mal wieder eine gute Gelegenheit, über den Brexit zu schreiben. Das muss nun entfallen – aber Boris Johnson wird mir sicher noch weitere Anlässe bieten.
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